Dienstag, 2. Juni 2015

Die Asylpolitik der EU

Wenige Themen betreffen in solchem Ausmaße die Werte und die Solidarität der Europäischen Union wie die europäische Asylpolitik. Die Dimensionen der Problematik sind gewaltig: Bilder von überfüllten, hochseeuntauglichen Booten, Medienberichte über Leichen im Mittelmeer und über 4.000 gerettete Menschen an einem Wochenende. Und doch ist die EU weder einheitlich noch entschlossen in ihrer Reaktion.  
Um diese Problematik näher zu betrachten soll im folgenden wirtschaftliche Determinanten und Fluchtruten beleuchtet, die rechtlichen Rahmenbedingungen der europäischen Asylpolitik erklärt und die politischen Positionen der Mitgliedstaaten analysiert werden. 



Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Flucht und Migration über das Mittelmeer 

In den letzten Monaten wurde verstärkt über Geflüchtete berichtet, die den Weg über das Mittelmeer antraten, um nach Europa zu gelangen. Dabei wurden neben humanitären Aspekten immer wieder auch die Profite der Schlepper herausgestellt. Dieser wirtschaftswissenschaftliche Beitrag soll, nach einer Einführung in die Routen und möglichen Beweggründe für Flucht und Migration, ein Schlaglicht auf die Schlepperwirtschaft richten. Dabei wird ein Modell vorgestellt werden, das als ein Vorschlag zur Reform europäischer Regulierungen von Migration verstanden werden kann. Dabei soll es auch den Effekt erzielen, die Schlepperwirtschaft unter Druck zu setzen.

Routen über das Mittelmeer 
Je nach Herkunftsland werden unterschiedliche Routen über das Mittelmeer eingeschlagen. Diese Routen unterscheiden sich auch hinsichtlich der Risiken, die auf dieser Reise eingegangen werden. Die Grenzschutz-Organisation Frontex stellte im „Risk Analysis Report 2014“ eine Statistik vor, die die illegalen Grenzübertritte nach Routen differenziert. 


In der nachfolgenden Tabelle werden die Herkunftsländer der Geflüchteten aufgeschlüsselt, die die farbig markierten Routen einschlagen:




Gründe für das Verlassen des Heimatlandes 
Unter den Herkunftsländern der über das Mittelmeer Geflüchteten befinden sich viele Menschen aus Ländern, die von Kriegen und humanitären Krisen erschüttert werden.

In Syrien tobt der Bürgerkrieg bereits im fünften Jahr. Eritreer werden von einer Diktatur unterdrückt. In Afghanistan üben die Taliban in vielen Gebieten wieder ihre Herrschaft aus. In Somalia gibt es schon seit langem keinen funktionierenden Staat mehr. Guinea wird unter den Folgen der Ebola-Epidemie noch lange leiden. In Nigeria ist die Sicherheitslage mancherorts sehr kritisch. 

All dies sind Gründe für die Flucht gen Europa und – in weitaus höheren Zahlen (vgl. UNHCR 2014: 5-6) – in andere Länder in Afrika oder Asien, die nicht zwingend wirtschaftlich motiviert ist.

Zum Vergleich kann folgendes Beispiel dienen: 202 834 Menschen stellten 2014 einen Asylantrag in Deutschland (BAMF 2015: 2). Im Libanon wurden 1,1 Millionen Menschen allein in der ersten Hälfte des Jahres 2014 aufgenommen (jüngere gesicherte Zahlen sind noch nicht verfügbar; UNHCR 2014: 6). In Äthiopien kamen im selben Zeitraum 587 700 Flüchtlinge an (ebd.).

Mixed Migration


Flucht ist von Migration zu unterscheiden – eben diese beiden Bewegungen vermischen sich aber zusehends, was unter dem Ausdruck „mixed migration“ zusammengefasst wird (IOM 2004: 42). Auch die Wanderungsursachen sind vielschichtig: politische, wirtschaftliche und andere Gründe wie bei der zwangsweisen Migration überlagern sich (IOM 2004: 42). Unter zwangsweiser Migration werden im wirtschaftswissenschaftlichen Kontext meist Flüchtlinge verstanden – diese Begriffsbestimmung unterscheidet sich von juristischen Definitionen.

Bei freiwilliger Migration sind Einkommensunterschiede und die fehlende Perspektive auf Entwicklung im Heimatland als zentrale Motivation, das Land zu verlassen, auszumachen (Angenendt 2014: 3). Mit zunehmender Entwicklung sinkt die Bereitschaft zur Migration nicht – im Gegenteil, sie befähigt erst dazu (ebenda)! Um dieses vermeintliche Paradox zu lüften, muss ein weiterer Faktor in Betracht gezogen werden: das Bevölkerungswachstum. In den meisten afrikanischen Ländern wächst die Wirtschaft jährlich um 4-5% (vgl. World Bank 2015c).

Schauen wir uns den Extremfall Eritrea genauer an
Das Land im Nordosten Afrikas wies 2013 ein Wirtschaftswachstum von 1,3% auf (World Bank 2015a). Die Bevölkerung wuchs im selben Jahr um 3,2% (World Bank 2015b). Trotz Wirtschaftswachstum sinkt also das Pro-Kopf-Einkommen.

Die Neigung zur Auswanderung sinkt erst, wenn das Pro-Kopf-Einkommen einem höheren mittleren Einkommen entspricht (IOM 2005: 186).

Das Geschäft der Schlepper 
Angesichts der fortdauernden Katastrophen im Mittelmeer hat die mediale und politische Aufmerksamkeit ein Schlaglicht auf die Schlepper geworfen.

Die Menschen, die sich auf die gefahrenreiche Reise in Richtung Europa machen, gehören nicht zu den Ärmsten ihrer Herkunftsländer. Ihre Flucht kann als „Investment“ ihrer Familie betrachtet werden: Viel Geld muss aufgebracht werden, mit der höchst unsicheren Aussicht auf eine „Auslandsdividende“ in Form von Geldzahlungen aus einer Arbeitsvergütung in Europa. Für dieses risikobehaftete Versprechen werden auch Schulden aufgenommen. Dieses Geschäft lässt sich für die Schlepper mit: „Low risk, high profit“ treffend beschreiben.

Die Schlepperwirtschaft ähnelt einer „komplexen Service-Industrie“ (Jandl 2005: 3, Übersetzung), die eine Vielzahl an Dienstleistungen zu differenzierten Preisen anbietet (ebd.: 4). Es lohnt sich, kurz die Frage aufzuwerfen, warum gegen die Schlepperwirtschaft vorgegangen werden sollte. Jandl nennt drei Gründe hierfür: (1) Es bestehen Verbindungen der Schlepper zum organisierten Verbrechen; zudem wird (2) die territoriale Souveränität der Staaten unterlaufen und (3) es findet eine Ausbeutung von Menschen in Verzweiflung statt. Zudem werden die geschmuggelten Menschen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt (Jandl 2005: 5). Aus ökonomischer Sicht verlieren die migrationswilligen Personen aber auch viel Zeit und Geld, was den meist ärmeren Herkunftsländern zusetzt und die Wohlfahrt verringert (Jandl 2005: 5-6).

Was tun gegen die Schlepperwirtschaft? 
Im Zentrum der Analyse soll ein marktbasiertes Modell stehen, das Michael Jandl vom „International Center for Migration Policy Development“ in die Debatte um legale Migrationsmöglichkeiten und die Unterbindung des Geschäfts der Schleuser einbrachte.

Die illegale Migration soll im Kern ersetzt werden durch eine legale Einreisemöglichkeit.

Das Development Visa- Modell (DV) zielt darauf ab, die Nachfrage nach Dienstleistungen von Schleppern zu reduzieren. Dabei sollen alle, das heißt die Migrierenden, die Herkunfts- sowie Zielländer, profitieren (Jandl 2005: 3). Die Schlepper wiederum sollen um ihre illegalen Profite gebracht werden (ebenda).

Dies soll darüber geschehen, dass legale Einreisevisa (die sogenannten DV) zu ungefähr dem Preis verkauft werden sollen, zu dem die Schlepper ihre Dienstleistung verkaufen (Jandl 2005: 7). Das DV-Modell kann parallel zu anderen Visa-Bestimmungen beispielsweise zu Tourismuszwecken betrieben werden (Jandl 2005: 7). Mit dem DV kann dann in den Zielländern einer Arbeit nachgegangen werden oder man kann sich zumindest legal dort aufhalten (ebd.: 8).

Die Einnahmen, die durch die DV entstehen, sollen dreigeteilt werden (Jandl 2005: 8-9):

1/3 soll Projekten der Entwicklungszusammenarbeit in den Herkunftsländern zu Gute kommen

1/3 soll eine Art Kaution als Garantie für die Rückkehr nach Ablauf der DV- Frist darstellen

1/3 soll in ein „DV Social Security Deposit“ (Jandl 2005: 9) fließen, mit Hilfe dessen etwaige
Ausgabe in den sozialen Sicherheitssystemen ausgeglichen werden sollen.

Bis zu zwei Dritteln (letztere) können bei Rückkehr erstattet werden, wenn einer legalen Beschäftigung nachgegangen wurde und die Europäische Union nach Ablauf der DV-Gültigkeit wieder verlassen wurde – dies soll ein Anreiz für die Aufnahme eine sozialversicherungspflichtigen Arbeit sein (Jandl 2005: 9).

Das DV-Modell wird im Folgenden einer kritischen Betrachtung unterzogen. Bemerkenswert ist das Modell deswegen, weil versucht wird durch ökonomische Anreize Migrationsentscheidungen zu beeinflussen (Jandl 2005: 3). An dieser Stelle muss sicherlich zwischen Flucht und Migration unterschieden werden (siehe auch Jandl 2007: 105).

Die DV-Gebühr wird an die Schlepperpreise angepasst. Die Schlepper müssen aufgrund des für den Dienstleistungs-Empfänger größeren Risikos immer niedrigere Preise als die DV-Gebühren verlangen. Eine sehr starke Absenkung der DV-Gebühr kann nicht realisiert werden, da sich dadurch die Migrationskosten, die in den Zielländern entstehen, nicht mehr selbst tragen würden. Es ist jedoch auch von der Kostenstruktur der Schlepper abhängig, inwieweit sie ihre Preise senken können. Dieser Mechanismen spielt zu Gunsten des Ziels der Staaten, die Schlepper unter Druck zu setzen.

Positiv hervorzuheben ist ebenfalls der Effekt, dass die bislang höchst lukrative Schlepperwirtschaft ökonomisch unter Druck gesetzt wird.

Es soll angenommen werden, dass der Schleppermarkt momentan ein Oligopol-Markt darstellt, da sehr viele Nachfrager auf nur wenige Anbieter treffen. Auf diesem Markt ergeben sich aufgrund der Marktmacht der Anbieter Preise, die über dem Wettbewerbspreis liegen. Diese Macht liegt darin begründet, dass die Nachfrager aufgrund ihrer Situation als Geflüchtete vermutlich die angebotene Dienstleistung zu höheren Preisen beziehen, als sie dies unter anderen Umständen tun würden. Einfachheitshalber kann dieser Markt durch ein Monopol modelliert werden, da diese Darstellung der Kostenstruktur der Anbieter und ihrem Mark-up Rechnung trägt. Der Cournot-Punkt entspricht der gewinnmaximierenden Preis-Mengen-Kombination. Der Mark-up des Anbieters ist die Differenz zwischen dem Cournot-Punkt und dem Schnittpunkt der Grenzerlös- mit der Grenzkosten-Kurve und stellt damit den Preisaufschlag dar.

Durch das vorgeschlagene DV wird eine legale Möglichkeit geschaffen, in Europa zu leben und zu arbeiten. Die DV weiten das Angebot an Einreisemöglichkeiten aus.

Aufgrund der ausgeweiteten Menge an Einreisemöglichkeiten erhält der Schattenmarkt der Schlepper Konkurrenz: der Mark-up sinkt. Aufgrund dessen werden die Preise fallen. Positiv daran ist, dass die Schlepper unter Druck gesetzt werden: Da sie Fixkosten wie die Anschaffung der Frachter haben, können sie ihre Preise nur bedingt senken (vgl. Jandl 2005: 11). Als logische Konsequenz aus den gesunkenen Preisen muss jedoch ein weiterer Effekt betrachtet werden: Es werden mehr Einreisemöglichkeiten „nachgefragt“ werden. Es entsteht folglich ein Trade-off zwischen der angestrebten Regulierung der „Menge“ der Migrierenden und dem Ziel, die Schlepperwirtschaft auszutrocknen: So lange es einen Mark-up gibt, wird sich die Menge ausdehnen. Der Mark-up ist von der Kostenstruktur abhängig: Falls es keinen Mark-up gibt, wird der Staat die Schlepper entweder vollkommen verdrängen (fallende Durchschnittskosten). Oder aber es gelingt ihm aufgrund steigender Durchschnittskosten nicht, die Schlepperwirtschaft auszutrocknen ohne gleichzeitig die Menge an Migration auszudehnen. Der Markt könnte sich auch zwischen Staat und Schleppern aufteilen – dann wären zumindest die Marktanteile der Schlepper geringer als zuvor.

Die Anpassung des Marktes durch die Einführung der Development-Visa (DV) wurde im Modell demnach verkannt.

Es kann zudem die Annahme in Frage gestellt werden, dass eine Ausweitung legaler Migrationsmöglichkeiten zu einer Abnahme der illegalen Migration führt (vgl. European Commission 2004; Jandl 2005: 6). Um auf eine mögliche Zunahme an Migration reagieren zu können, soll eine zahlenmäßige Beschränkung der DV durch eine Quote optional möglich sein (Jandl 2005: 8).

Diese Quote wird jedoch niemanden davon abhalten, nach Europa zu migrieren und dafür die Dienstleistungen der Schlepper in Anspruch zu nehmen.

Die Kosten für die europäischen Sozialsysteme müssen nun in den Blick genommen werden: Diese bleiben konstant. Wenn die Nachfrage nach Migration/ Einreise steigt und das Angebot ausgeweitet wird (zu den Schleppern treten die DV), dann sinkt der Preis als Folge des verringerten Mark-ups. Aufgrund der gesunkenen Preise für die DV entsteht ein geringeres Volumen der Einzahlungen in die Sozialversicherungssysteme. Da die Risiken für die Versicherungen jedoch gleich bleiben, führt dies zu einer Belastung der Sozialsysteme über das Maß hinaus, das durch die Abführung des Drittels des DV-Preises gedeckt werden kann.

Auf einen weiteren Kritikpunkt ist Jandl (vgl. 2007: 104-105) eingegangen: Es ist möglich, dass die Nachfrage nach legalen Einreismöglichkeiten nicht identisch mit der modellierten Nachfragekurve ist, die sich aus der Nachfrage nach momentan illegaler Einwanderung ergibt. Es kann angenommen werden, dass die neue Nachfrage höher sein wird. Dies liegt darin begründet, dass manche Menschen sich bei den momentanen Zuständen nicht den Risiken aussetzen wollen, die eine Schlepper-Route nach Europa mit sich bringt. Jandl spricht von „gesetzestreuen Menschen“ (Jandl 2007: 104), die sich nicht der Illegalität aussetzen möchten. Wir haben es also mit einem Markt zu tun, auf dem heterogene Güter gehandelt werden, die den illegalen und legalisierten Routen entsprechen. Zudem agieren heterogene Agenten auf diesem Markt, die risikofreudig oder eher risikoavers sind.

Wenn nun der DV-Preis sich dieser gesteigerten Nachfrage anpasst und steigt, wird er zu hoch für manche Menschen sein, die nun wieder auf Schlepper ausweichen. Bleibt der Preis jedoch auf seinem alten Niveau, so wird die Nachfrage um einiges höher ausfallen. Die von Jandl vorgeschlagenen Lösungen dieses Problems sind wiederum Quoten (Jandl 2007:105). Wie oben schon erwähnt wurde, sind die Effekte von Quoten in Bezug auf die Reduktion von illegaler Migration nicht zu überschätzen. Zudem setzt er darauf, dass migrationswillige Personen die Verdienstmöglichkeiten während ihrer Zeit in Europa, die ihnen das DV einräumt, mit dem Preis des Visums vergleichen. Wenn sie sich entscheiden illegale Dienste für die Migration in Anspruch zu nehmen, würde ihnen das Risiko einer Identifizierung als illegaler Arbeiter drohen, die die Ausweisung nach sich zieht. Dieses Risiko nehmen jedoch schon heute viele Menschen nach ihrer Ankunft in Europa in Kauf – für sie zählt wohl mehr, ihr eventuell unsicheres Herkunftsland verlassen zu haben.

Eine zentrale Intention des Modells ist die signifikante Verkleinerung des Schwarzmarktes für Einreisemöglichkeiten in den Herkunftsländern (eine generelle Abschaffung erscheint unrealistisch). Wenn der Immigrierende nach Ablauf der DV-Frist keinen legalen Aufenthaltstitel erworben hat, soll die Rückzahlung eines Drittels der DV-Gebühr (ggf. zusätzlich der Rückzahlung der Sozialsystem-Beiträge, macht höchstens 2/3 der ursprünglichen Gebühr) der Anreiz dafür sein, ins Heimatland zurückzukehren (vgl. Jandl 2005: 10). Diese Kalkulation geht von der Annahme aus, dass Gewinne und Verluste symmetrisch gewichtet werden. Spieltheoretische Experimente zeigen jedoch, dass potentielle Gewinne niedriger bewertet werden als potentielle Verluste. Der Verlust ist in diesem Fall die Abreise aus Europa nach Ablauf der DV-Frist. Der Anreiz zum Verlassen Europas in Form der Rückzahlung in Höhe von 1/3 bis 2/3 der DV-Gebühr entfaltet unter dieser Wahrnehmung nicht seine intendierte Wirkung – dafür müsste mehr als die DV-Gebühr zurückerstattet werden. Zudem ist es wahrscheinlich, dass noch weitere Gesichtspunkte bei der Entscheidung eine Rolle spielen. Die Lage im Herkunftsland wird sich unter Umständen nicht verbessert haben. Damit würden mehr Migrantinnen und Migranten ihre Arbeit im Schwarzmarkt Europas verdingen als zuvor. Diese Option kann vermutlich auch nicht dadurch unattraktiver gemacht werden, dass eine Identifizierung durch den gespeicherten Fingerabdruck drohen könnte (vgl. Jandl 2005: 12). Die Gefahr einer Abschiebung als „Sans papiers“ droht auch heute schon – und hält offensichtlich nicht alle davon ab, auf dem Schwarzmarkt zu arbeiten.

Die Antwort auf den zu erwartenden Nachfrageanstieg, der aus der Preissenkung durch Wettbewerb resultiert (und zu geringerem Teil evtl. auf mehr Nachfrager, die bis dato bestehende Migrationsgesetze einhalten wollten, wie von Jandl angenommen), soll im DV-Modell auf das nächste Jahr verschoben werden (Jandl 2005: 8). Auf der individuellen Ebene wird die migrationswillige Person die Opportunitätskosten in ihre Migrationsentscheidung miteinbeziehen. Mit einem Jahr Wartezeit geht ein potenzielles Jahreseinkommen in Europa verloren. Wenn diese Opportunitätskosten berücksichtigt werden, kann es durchaus wieder ökonomisch sinnvoll sein, die Dienstleistung der Schlepper in Kauf zu nehmen. Eine Austrocknung der Schlepperwirtschaft ist auf diesem Wege zumindest temporär nicht zu erreichen.

Das Modell sieht ferner vor, dass unterschiedliche Visapreise für die betreffenden europäischen Zielländer bezahlt werden sollen. Dies setzt eine Koordinierung der Preissetzung auf europäischer Ebene voraus (vgl. Jandl 2005: 8). Bei dieser Preissetzung wird es zum einem Koordinierungsproblem ähnlich dem bei öffentlichen Gütern kommen. Ein für Immigranten weniger attraktives Land sollte einen niedrigeren Visapreis verlangen als ein attraktiveres Land. Es ist jedoch absolut rational, von diesem aus der europäischen Koordinierung entstandenen Preis abzuweichen und einen höheren Preis zu setzen. Hinzu tritt also ein klassisches Trittbrettfahrer-Problem.

Verteidigend kann eingeworfen werden, dass das Modell das Potential birgt, durch die zusätzlichen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit in Höhe von 1/3 der DV-Gebühren (vgl. Jandl 2005: 9) einen Anreiz für Kooperation zwischen Herkunfts- und Zielländern zu schaffen. Mit einem koordinierten Ansatz könnten die Länder zusammen Risiken für die Schlepper durch verschiedene Maßnahmen, zum Beispiel durch eine verbesserte Strafverfolgung, erhöht werden. Die Schlepper würden dieses Risiko im Preis abbilden und einen Risikoaufschlag verlangen. Mit dem Preisanstieg würde wiederum die Nachfrage sinken. Dieser kooperative Ansatz birgt das Potential, die Schlepperwirtschaft tatsächlich zu unterbinden. Ein ausgereifteres Modell, das legale Migrationsmöglichkeiten schafft, würde diesen Ansatz komplementieren. Und vielleicht könnte der Trade-off zwischen einer politisch gewünschten Begrenzung der Migration und der Austrocknung des Schlepper-Geschäfts damit aufgelöst werden.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das vorgeschlagene DV-Modell zu einem Trade-off zwischen dem Ziel, die Schlepperwirtschaft auszutrocknen und die Menge an Migration zumindest konstant zu halten, führen wird.


Rechtliche Rahmenbedingungen

A Völkerrechtliche Einordnung: Asyl

1. Asyl

Zentrales Dokument innerhalb der völkerrechtlichen Regelungen zum Asyl ist die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Diese garantiert allerdings kein Recht auf Asyl, sondern Rechte im Asyl. Weitere völkerrechtliche Dokumente, wie die Asyldeklaration der Generalversammlung von 1967, bekräftigen, dass es kein individuelles Recht auf und auch keine staatliche Pflicht zur Gewährung von Asyl gibt, sondern dass dies einen souveränen Akt des Staates darstellt. Ein Recht Asyl zu suchen und zu genießen wird zwar in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte genannt, allerdings ist diese Erklärung, wie alle Resolutionen der Generalversammlung, rechtlich nicht verbindlich. Während die meisten Rechte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in den beiden Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen rechtsverbindlich wurden, ist das Recht auf Asyl bis heute völkerrechtlich nicht gewährt.

2. Nicht-Zurückweisung, Refoulement-Verbot

Was es allerdings auch völkerrechtlich gibt, ist das Refoulement-Verbot - grob gesprochen das Verbot Menschen in ein Land zurückzuweisen, wenn ihnen dort Verfolgung, Folter oder andere menschenunwürdige Behandlung droht. Die rechtliche Grundlage dessen ist zum einen Art. 33 I der Genfer Flüchtlingskonvention und zum anderen das Folterverbot, welches in mehreren menschenrechtlichen Verträgen enthalten ist und auch zum ius cogens (dem zwingenden Völkerrecht, also einer Kategorie von Normen, die so grundlegend für die Staatengemeinschaft sind, dass von ihnen nicht abgewichen werden darf) gehört. Allerdings gilt dieses Gebot der Nichtzurückweisung zweifelsfrei nur für Personen innerhalb des staatlichen Territoriums. Ob auch Zurückweisungen an der Grenze in den Anwendungsbereich fallen ist umstritten.

In Kürze:
1. Es gibt kein völkerrechtlich verankertes Recht auf Asyl, noch eine Pflicht Asyl zu gewähren.
2. Es gibt jedoch das Verbot, Menschen aus dem Territorium eines Landes in ein Land zurückzuweisen, in denen ihnen Verfolgung, Folter oder andere menschenunwürdige Behandlung droht.

Quelle: Weinzierl, R. (2005). Flüchtlinge. Schutz und Abwehr in der erweiterten EU. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. S.119-126.
Arnauld, A. (2014). Völkerrecht. Heidelberg: C.F. Müller. 341.


B Asylrecht auf europäischer Ebene

Überblick:

Art. 78 Vertrag über die Arbeitsweise der EU:
EU-Grundrechtscharta
Europäische Menschenrechtskonvention
Gemeinsames europäisches Asylsystem + Sekundärrechtliche Konkretisierung
Art. 18: Asylrecht ohne eigenständige inhaltliche Angaben
Art. 19: Refoulement-Verbot
Art. 3 EMRK Folterverbot -> Umfassendes Refoulement-Verbot


1. Asyl

Relevanter ist für Deutschland allerdings das Europarecht. Art. 78 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist Grundlage für das Europäische Asylsystem. Dieses wurde in verschiedenen Sekundärrechtsakten geschaffen.

Relevante Sekundärrechtsakte:
  •  Die Zuständigkeitsverordnung (VO 604/2013)

Diese sogenannte Dublin-III-Verordnung bestimmt, welcher europäische Staat für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist. Dabei wird ein Katalog von Kriterien abgearbeitet, beispielsweise mit Sonderfällen zu Minderjährigen. Häufigster Fall ist, dass ein Asylsuchender seinen Antrag nur in dem Mitgliedsstaat stellen darf, in dem er zum ersten Mal eingereist ist, weshalb auch Italien und Griechenland zurzeit für so viele Asylsuchende verantwortlich sind. Aus dieser Regelung ergibt sich die Erlaubnis, Asylsuchende in das Land zurückzuverweisen, das für ihn zuständig ist. Allerdings gab es hier eine gerichtlich festgestellte Eingrenzung:

Gerichtliche Urteile

1. Kernaussage:    Menschen dürfen nicht in das nach der Dublin-III-VO zuständige Land zurückverwiesen werden, wenn dort menschenunwürdige oder erniedrige Bedingungen für sie herrschen.
Bsp. Urteil:          EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: urteilt auf der Grundlage der Europäische Menschenrechtskonvention, welche alle Staaten der EU ratifiziert haben) Urteil vom 21.01.2011, Nr. 30696/09 - M.S.S. gegen Belgien und Griechenland.
2. Kernaussage:          Ein Asylsuchender darf nicht in ein Land verwiesen werden, in dem systematische Mängel im Asylverfahren vorliegen.
Bsp. Urteil:                 EuGH (der Europäische Gerichtshof) Urteil vom 21.12.2011, C-411/10, C-493/10.

Wegen dieser gerichtlichen Einschränkungen kam es zeitweise zu einem Ausweisestopp nach Italien oder Griechenland.

  • ·      Verfahrensrichtlinie (RL 2013/32)

Die Verfahrensrichtlinie regelt den Verfahrensgang bis zur Entscheidung über den Antrag.

  • ·      Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33)

Die Aufnahmerichtlinie betrifft das Leben des Asylsuchenden während des laufenden Antragsverfahrens, insbesondere soziale Rechte. Sie garantiert einen angemessenen Lebensstandard, der allerdings beispielsweise auf die medizinische Notversorgung beschränkt sein kann.

  • ·      Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95)

Die Qualifikationsrichtlinie regelt zum einen die Kriterien, nach denen über einen Asylantrag zu entscheiden ist und zum anderen Rechte, die ein Asylberechtigter genießt.

  • ·      Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115)

Die Rückführungsrichtlinie regelt die Rückführung von sich illegal in der EU aufhaltenden Drittstaatsangehörigen.

Diese Sekundärrechtsakte, beziehungsweise deren Umsetzung (Richtlinien müssen binnen einer Frist in nationales Recht umgesetzt werden) bilden somit das europäische Asylrecht. Es gibt folglich auf europäischer Ebene eine Pflicht, nach bestimmten Kriterien Asyl zu gewähren.

Welche sind nun diese Kriterien? Die in der Qualifikationsrichtlinie genannten Kriterien lehnen sich an die Genfer Flüchtlingskonvention an.

Asylberechtigte, also Flüchtlinge im rechtlichen Sinne sind

  •   Drittstaatsangehörige,
  • die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung
    •  wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
  • sich außerhalb des Landes befindet
  • und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen können oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen wollen.
Diese Kriterien gelten ebenfalls für Staatenlose. Zentrales Kriterium ist somit die politische Verfolgung. Diese Verfolgung kann von Staaten, Organisationen, die regional die Herrschaft innehaben oder auch von Privaten ausgehen, wenn der Staat und internationale Organisationen die Person nicht davor schützen können. Wichtig ist, dass in dem Herkunftsland nicht nur ein allgemeines Repressionsklima herrscht, sondern die Person auch individuell von konkreter Verfolgung bedroht ist. Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge haben keinen Anspruch auf Asyl. Falls man diese Flüchtlingseigenschaften nicht erfüllt, könnte man trotzdem noch Anspruch auf subsidiären Schutz haben.

Personen, mit Anspruch auf subsidiären Schutz sind

  •   Drittstaatsangehörige,
  •  die nicht die Flüchtlingseigenschaften erfüllen
  •  es allerdings trotzdem stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass in dem Herkunftsland der Person ein ernsthafter Schaden droht.

Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Auch hier findet man also das Kriterium der individuellen Bedrohung wieder.

Diese beiden Kategorien von Personen haben nach europäischem Recht Anspruch auf internationalen Schutz haben. Nebenher gibt es allerdings noch weitere geduldete Personen, beispielsweise durch nationale Ausweisestopps. So haben Bundesländer in Deutschland Beschlüsse gefasst, die aufgrund der humanitären Lage in Syrien einen Abschiebestopp für Kriegsflüchtlinge verhängt haben. 


2. Nicht-Zurückweisung, Refoulement-Verbot

Auch auf europäischer Ebene gibt es, verankert in Art. 19 der EU-Grundrechtecharta und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (über das Folterverbot in Art. 3), das Refoulement-Verbot, in deutlich strengerer Ausführung. So gilt dieses Gebot der Nicht-Zurückweisung bereits an der Grenze.

In Kürze:                     
1. Das Europarecht verpflichtet die Staaten zu einem Asylsystem, das Personen die aus begründeter Frucht vor politischer Verfolgung fliehen, Asyl gewährt.
2. Auch auf europarechtlicher Ebene gibt es ein Refoulement-Verbot, hier sogar in deutlich strengerer Form.

Quelle: 
Agentur der Europäischen Union für Grundrechte & Europarat. (2013). Handbuch zu der europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration. Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union. S. 43-48. 
Haratsch, A., Koenig C. & Pechstein, M. (2014). Europarecht. Tübingen: Mohr Siebeck. 539-543.
Seehase, S. (2013). Die Grenzschutzagentur FRONTEX. Baden-Baden: Nomos. 52-69.

C Verschiedene Ansätze rechtlich bewertet

1. Verhindern, dass potentielle Asylsuchende kommen

Viele Menschen haben in den letzten Jahren den Weg über das Mittelmeer gewagt. Um den Strom der Asylsuchenden an der europäischen Küste zu verringern, wurden zum einen aufgegriffene Personen nach Afrika zurückgebracht und zum anderen wurden in sogenannten Push-back-Einsätzen Boote an dem Weg nach Europa gehindert. Hierzu gibt es ein wichtiges Gerichtsurteil aus dem Jahre 2012:

Gerichtsurteil Hirsi Jamaa und andere gegen Italien

Gericht:                       Europäischer Menschenrechtsgerichtshof – es ging also um Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention
Sachverhalt:               2009 brachte die italienische Marine ein Boot mit Asylsuchenden auf und eskortierte es zurück nach Libyen, wo die Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern untergebracht wurden.
1. Kernaussage:          Das Refoulement-Verbot der Europäischen Menschenrechts-konvention gilt auch auf Booten auf Hoher See, da die Staaten dort die effektive Kontrolle über diese Personen ausüben. Aufgegriffenen Menschen dürfen nicht in Staaten gebracht werden, in denen ihnen menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung droht.
2. Kernaussage:          Auch für einen Verstoß gegen das Verbot der Kollektivausweisung ist kein territorialer Bezug notwendig, es reicht, dass auf dem Boot keine individuelle Prüfung der einzelnen Schicksale vorgenommen wurde.

Bloße Push-back Einsätze, ohne dass die Menschen an Bord genommen werden, sind ebenfalls verboten, da auch ein Schiff, das mit der Androhung von Gewalt in einen Hafen geleitet wird unter der Gewalt des eskortierenden Schiffes steht

In Kürze:
Auch auf Hoher See ist das Refoulement-Verbot zu beachten.



Quelle: Seehase, S. (2013). Die Grenzschutzagentur FRONTEX. Baden-Baden: Nomos. 242-302.
Cremer, H. (2012). Den europäischen Flüchtlingsschutz neu regeln. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte. 1-5.
Lisson, U. & Weinzierl, R. (2007). Border Management and Human Rights. A study of EU Law and the Law of the Sea. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte. 13-16, 21-23. 32-35, 44-48.


2. Rettungsoperationen im gesamten Mittelmeer

Nach Art. 98 I des Seerechtsübereinkommens ist jeder Staat dazu verpflichtet, seine Kapitäne dazu anzuhalten, Hilfeleistung bei Lebensgefahr oder Seenot zu leisten. Dieses Gebot gilt auch völkergewohnheitsrechtlich, also ohne dass ein Staat sich dazu in einem Vertrag verpflichten müsste.
Fraglich ist allerdings, ob man solch eine Seenotrettung systematisch sicherstellen muss. Die International Convention on Maritime Search and Rescue enthält zwar detailliertere Anforderungen bezüglich welche staatliche Instanzen geschaffen werden müssen, allerdings enthält auch sie keine abschließende Pflicht, flächendeckende Seenotrettung bereitzustellen.

In Kürze:
Bei Kenntnis von Seenot oder Lebensgefahr auf See ist Seenotrettung zu leisten. Es gibt keine konkrete Pflicht die See zu überwachen, um all diese Fälle auch rechtzeitig zu entdecken.

Quelle: Pro Asyl. (2015). Internationales Recht: EU muss Bootsflüchtlinge retten und aufnehmen. Verfügbar unter http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/internationales_recht_die_eu_ ist_verpflichtet_fluechtlinge_aus_seenot_zu_retten_und_aufzunehmen/. (2.5.2015)
O'Brien, K. (2011). Refugees on the High Seas: International Law Solutions to a Law of the Sea Problem. In: Goettingen Journal of International Law, S. 715-732.
Lisson, U. & Weinzierl, R. (2007). Border Management and Human Rights. A study of EU Law and the Law of the Sea. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte. 12-13, 18-20, 35-41.


3. Asylgewährung in Afrika

2002 gab die Europäische Kommission eine Studie in Auftrag, welche die Möglichkeit der Erteilung von Visa in Afrika untersuchte, mit denen dann in Europa Asyl beantragt werden kann. Zu diesem Zeitpunkt stellte bereits ein Drittel der Staaten eine solche Option in seinen Botschaften bereit.
Fraglich ist jedoch, ob es eine Pflicht geben könnte, bereits in Afrika Visa, bzw. Asyl zu erteilen. Das wäre der Fall, wenn Menschenrechte extraterritorial, also auch außerhalb des Territoriums gelten würden. Es wäre denkbar, dass Europa, weil es kein Asyl bereits in seinen Botschaften gewährt, für die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer verantwortlich ist. Dabei müssten die Menschenrechte, zum Beispiel das Recht auf Leben oder körperliche Unversehrtheit auch extraterritorial, also schon in Afrika gelten. Es gibt zwar die extraterritoriale Anwendung von Menschenrechten, wenn eine Person der Herrschaftsgewalt eines anderen Staates untersteht. Allerdings reicht in so konstruierten fall hier eine Botschaft oder ein Konsulat nicht aus.
Theoretisch möglich ist diese Option allerdings definitiv. Praktisch ergeben sich einige Probleme. Erstens dauern solche Verfahren normalerweise einige Zeit. Akut politisch Verfolgte haben aber keine Zeit, einen Antrag in einer Botschaft zu stellen und dann darauf zu warten, dass über diesen entschieden wird. Denkbar wäre ein Antrag während dem Weg nach Europa, beispielsweise in einem relativ sicheren Drittstaat. Doch zweitens ergibt sich die Problematik, dass man bei der Durchreise durch sichere Drittstaaten dort bleiben muss. Der Grundgedanke hinter dem Asyl ist, dass man derart verfolgt wird, dass man in das nächstmögliche Land flieht, um dort Schutz zu beantragen.
 
In Kürze:
Die Beantragung von Asyl, bzw. die Beantragung eines Visums, um einen Asylantrag zu stellen, ist möglich, in der Praxis aber schwierig.

Quelle:  Fagerlund, J., Noll, G. & Liebaut, F. (2002). Study on the feasibility of processing asylum claims outside the EU. O.O.: Danish Centre for Human Rights



Politische Rahmenbedingungen


Die Europäische Union strebt an, ein gerechtes Verteilungssystem für Flüchtlinge auf verschiedene Mitgliedsstaaten einzuführen, aber viele Länder sind dagegen. Kann die EU sich auf eine neue Migrationspolitik einigen?

Der stark anhaltende Strom an Flüchtlingen in die EU hat die
Abbildung 1 (EK 2015b): Verteilung von den zehn
EU-Staaten mit den meisten Asylbewerbern
Frage nach der Einführung eines fairen europäischen Verteilungssystems für Asylsuchende wieder auf die Tagesordnung gebracht. Nach wie vor sind die Aufnahmen in den EU-Ländern höchst unterschiedlich. 2014 wurden allein 72% der Asylbewerberanträge in der EU in nur vier Staaten gestellt: Deutschland, Frankreich, Schweden und Italien. Die EU-Kommission hat im Mai 2015 ihre Pläne für Flüchtlingsquoten konkretisiert. Jede Regierung wird eruieren, ob ein solches System für sie mehr oder weniger Einwanderung zur Folge hätte. Da im Augenblick zahlreiche Mitgliedstaaten nur relativ wenige Flüchtlinge aufnehmen, sind die Aussichten auf eine Einigung schwer abzuschätzen. Je nachdem, wie man einzelne Kriterien wie Bevölkerung oder Wirtschaftskraft gewichtet, sind Quoten vorstellbar.

Wie sieht das Verteilungssystem aus? 
Abbildung 2 (EK 2015b): Vorgeschlagener
Verteilungsschlüssel der EU-Kommission
Der Ausgangspunkt des Vorschlages der Kommission ist ein sogenanntes Relocation-Programm, das zunächst Italien und Griechenland entlasten soll. Die beiden Mittelmeeranrainer erlebten in den vergangenen Monaten einen überdurchschnittlich starken Ansturm an neuen Flüchtlingen. In Italien kamen allein in den ersten paar Monaten dieses Jahres rund 80.000 Asylsuchende an - mehr als im gesamten Vorjahr. Die EU-Kommission beruft sich deshalb auf eine Notfall-Klausel. In Artikel 78 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union heißt es: "Befinden sich ein oder mehrere Mitgliedstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage, so kann der Rat auf Vorschlag der Kommission vorläufige Maßnahmen zugunsten der betreffenden Mitgliedstaaten erlassen." Brüssel schlägt auf dieser Grundlage vor, 40.000 schutzbedürftige Menschen, die in Italien oder Griechenland ankommen, auf alle EU-Staaten für zwei Jahre zu verteilen (Nielsen 2015).


In welche Länder wie viele Flüchtlinge geschickt werden, soll von mehreren Faktoren abhängig sein: der Einwohnerzahl (40%), der Wirtschaftsleistung (40%), der Arbeitslosenquote (10%) und der bisherigen Zahl der Asylbewerber (10%). Wie in Abbildung 2 ersichtlich, würde Deutschland nach dem Vorschlag der Kommission die meisten Menschen aufnehmen, nämlich 18,4 Prozent, gefolgt von Frankreich (14,2 Prozent) und Italien (11,9 Prozent). Diese Zahlen beziehen sich auf die Migranten, die sich bereits in Europa aufhalten, die EU-Kommission teilte bislang jedoch nicht mit, um wie viele Menschen es dabei genau geht. Der Schlüssel würde alle EU-Staaten umfassen, mit Ausnahme Großbritanniens, Irlands und Dänemarks. Diese Länder sind nicht Teil der Aufstellung, weil sie in diesem Politikbereich nicht an europäischen Gemeinschaftsaktionen teilnehmen müssen (Opt-out). Diese Länder machen von einer Ausstiegsklausel Gebrauch, die sie von Rechtsakten des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffend, befreit.

Die EU-Kommission schlägt jedoch noch einen zweiten Quotenschlüssel vor. Sie will zusätzlich auch Länder außerhalb Europas entlasten, die beispielsweise vielen Flüchtlingen aus dem syrischen Bürgerkrieg Zuflucht gewährt haben. Insgesamt sollen aus diesem Bereich in den kommenden zwei Jahren rund 20.000 Menschen in Europa aufgenommen werden, die - im Gegensatz zur anderen Quote - auf alle 28 EU-Staaten verteilt werden sollen. Demnach würden auf Deutschland 3086 Personen oder 15,43 Prozent entfallen. Frankreich stünde wiederum an zweiter Stelle mit 2375 Menschen (11,87 Prozent). Für Großbritannien empfiehlt die EU-Kommission 2309 Personen (11,54 Prozent).

Bisher hat die EU-Kommission Artikel 78 Absatz 3 noch nie angewendet. Dimitris Avramopoulos, Kommissar für Inneres und Migration, machte allerdings deutlich, dass er künftig auch Anwendung finden könnte, wenn andere Staaten in eine vergleichbare Lage geraten wie Italien oder Griechenland. Malta gilt als möglicher Kandidat. Des Weiteren handelt es sich bei den Plänen der Kommission zunächst nur um kurzfristige Maßnahmen. Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Schlüssel für die Verteilung von Flüchtlingen künftig nicht mehr nur für Notfallmaßnamen gilt, sondern die Grundlage der EU-Flüchtlingspolitik wird. So bekräftigt die Kommission in ihrem Vorschlag: „This step will be the precursor of a lasting solution. The EU needs a permanent system for sharing the responsibility for large numbers of refugees and asylum seekers among Member States“ (Europäische Kommission 2015a: 8). Alle Flüchtlinge in der EU würden dann nach diesem Schlüssel über die Mitgliedsstaaten verteilt. Die kurzfristige Maßnahme gilt als Test für diesen Ansatz. Sollte die Quoten-Regelung eines Tages grundsätzlich gelten, hätte das große Auswirkungen: Länder wie Deutschland, die derzeit verhältnismäßig viele Flüchtlinge aufnehmen, müssten weniger, Länder wie Frankreich müssten deutlich mehr leisten.

Ob die Quotenvorschläge der EU-Kommission in die Tat umgesetzt werden, ist derzeit noch ungewiss. Denn sie können nur dann rechtsverbindlich umgesetzt werden, wenn die Mitgliedsstaaten mit qualifizierter Mehrheit zustimmen (Artikel 77, 78 und 79 AEUV). Und verschiedene Regierungen haben sich bereits ablehnend geäußert. Woran das liegen könnte, soll mithilfe des Liberalen Intergouvernementalismus, einer EU-Integrationstheorie, ermittelt werden.


Theoretische Zugänge zur Verteilungsfrage 
Die Theorie zählt zu den explizit staats-zentrierten Ansätzen. Laut Theorie treten im europäischen Integrationsprozess die Staaten nach außen als eine geschlossene Einheit auf. Ihre Regierungen sind die maßgeblichen Brückenkopfe, die zwischen innenpolitischer und internationaler Ebene vermitteln. Zu Integrationsfortschritten kommt es nur dann, wenn die Interessen der dominierenden Nationalstaaten konvergieren und über zwischenstaatliche Verhandlungen gemeinsame Regeln beschlossen werden, die wiederum den innerstaatlichen Interessen nutzen. Diese Interessen sind dabei immer das Produkt eines nationalen Präferenzbildungsprozesses. Die Regierungen aggregieren und wägen diese Präferenzen gegeneinander ab, um - mit Blick auf ihre Wiederwahl- eine erfolgreiche Politik zu betreiben. Staaten sind dabei rational agierende Akteure, d.h. sie führen auf der Grundlage ihrer Nutzenfunktion bzw. ihrer Präferenzen eine Kosten-Nutzen-Analyse durch. Während im Bereich des Binnenmarktes die Gewinn-Verlust-Kalkulation noch recht einfach ist, gibt es insbesondere beim Politikfeld der Bereitstellung nicht-sozioökonomischer kollektiver Güter Probleme (z.B. Asylpolitik), Gewinne und Verluste genau zu bestimmen. Statt einer genauen Gewinn-Verlust-Rechnung werden hier daher oft ideologische und politische Argumentationen benutzt. In Anbetracht der theoretischen Grundlage wird nun die erste Stufe, der nationale Präferenzbildungsprozess, an eine gemeinsame Einwanderungs- und Asylpolitik auf die Motivationen der EU-Mitgliedsstaaten in Bezug auf das Verteilungssystem gespiegelt.


Warum wird keine Einigung erzielt? Divergierende mitgliedsstaatliche Positionen, machtlose EU


Der LIG erwartet von einer gemeinsamen  Einwanderungs- und Asylpolitik aufgrund der unterschiedlichen Zuwanderungsströme und der Brisanz und Sensibilität des Politikfeldes sowie seiner Unkalkulierbarkeit keine weitreichende Integration und keine Abgabe von Souveränitätsrechten an supranationale Institutionen“ (Bösche 2001: 13). Für diese Auslegung des LIG spricht, dass die Bedingungen zwischen den Mitgliedsstaaten ähnlich sind:



Interessengruppen in der Asylfrage:

Der LIG misst Interessengruppen bei der innerstaatlichen Präferenzformation eine maßgebliche Rolle zu . Es handelt sich bei allen EU-Staaten um Demokratien, in denen Interessenvertretung ein elementarer Bestandteil des politischen Prozesses ist. Diese pluralistischen Gesellschaften bestehen aus verschiedensten sozialen Gruppen, die wiederum ihre legitimen Interessen gegenüber den politischen Entscheidungsträgern und Gesetzgebern artikulieren. In diesem Bereich haben besonders organisations- und konfliktfähige Interessengruppen gute Chancen auf eine Durchsetzung ihrer Interessen. Zwar existieren in ganz Europa Gruppen wie ProAsyl, Amnesty International, Kirchen und private Initiativen. Deren Einflussfähigkeit ist im Vergleich mit Gewerkschaften jedoch relativ gering (Bade 2013), sodass im Gegensatz zu wirtschaftlich starken Interessenvertretungen Asylbewerber tendenziell eine schwache Lobby innerhalb der EU  und ihrer Mitgliedsstaaten genießen.

Abbildung 3 (Wikipedia 2015): Nationale Standpunkte

Präferenzen: Einwanderung und Asyl
Präferenzen werden gemäß LIG auf der Grundlage von Interessen ausgebildet. In der Frage der Einwanderungs- und Asylpolitik sind die Interessen in der EU sehr unterschiedlich. Vor allem osteuropäische Mitgliedsstaaten verstehen sich nach wie vor nicht als Einwanderungsländer, obwohl beinahe alle EU-Länder einen steigenden Zustrom an Drittstaatsangehörigen verzeichnen (eurostat 2014). Diese Haltung zeigt sich hinsichtlich der Verteilungsdebatte und zeichnet deren Präferenzen in Bezug auf Einwanderungs- und Asylpolitik aus. Polen, beispielsweise (aber auch benachbarte Staaten, siehe Abbildung 3.), lehnt Quoten ab und plädiert für eine freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen. Beispielhaft für die Einwanderungsdebatte in dem Land ist, dass von Asylbewerbern diejenigen mit christlichen Glauben aufgenommen werden sollen und starke Ressentiments gegenüber Muslimen vorherrschen (EurActiv 2015). Dem stehen Staaten wie Deutschland gegenüber, die sich ebenfalls lange nicht als Einwanderungsländer bezeichneten, jedoch von diesem Standpunkt abgewichen sind: "Wir sind im Grunde schon ein Einwanderungsland" sagte z.B. Angela Merkel 2015 auf einem Bürgerdialog der Bundesregierung (FAZ 2015). 
Präferenzen: Wirtschaftliche Faktoren
Ein weiterer Aspekt in der Argumentation gegen einen Verteilungsschlüssel spielt die wirtschaftliche Situation in den Mitgliedsstaaten, die ein genuines Interesse in der Präferenzformation wiederspiegeln. In vielen Mitgliedsstaaten stockt das Wirtschaftswachstum bei steigenden Sozialausgaben und demografischen Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund wird eine restriktive Asylpolitik von einigen Staaten mit der sozialen Lage in den Ländern gerechtfertigt. So ist z.B. Spanien mit dieser Argumentation gegen den EU-Verteilungsschlüssel. Der spanische Außenminister José Manuel García-Margallo forderte, die Quoten müssen "proportionate, fair and realistic" (EurActiv 2015) seien. Die Pläne berücksichtigten die Arbeitslosenquoten der Länder nicht ausreichend. Die Arbeitslosigkeit - Spanien hat mit 23 Prozent eine der höchsten Quoten der EU - sei ein entscheidender Faktor für die Aufnahmekapazität eines Landes.
Kosten-Nutzen-Kalküle: Ideologien und Wahlkämpfe bei Staaten, die den Verteilungsschlüssel ablehnen
Wie oben beschrieben spielen ideologische Vorstellungen im LIG in von Kosten-Nutzen-Kalkülen schwer kalkulierbaren Politikfeldern eine wichtige Rolle. Eine Mehraufnahme von Asylbewerbern, die Ländern wie Frankreich, Spanien oder Polen zu tragen hätten, führt zu eindeutig höheren finanziellen Kosten. Diese finanzielle Kosten-Nutzen-Kalkulation können die Länder aufgrund der Bestimmbarkeit des Verteilungsschlüssels durchführen. Die politischen Kosten für eine Mehraufnahme sind hingegen wesentlich schwerer für diese Staaten durchzuführen. Zum Beispiel äußerte sich Frankreich zunächst positiv gegenüber einer Quotenregelung, bevor dann die sozialistische Regierung ihre Position wieder zurücknahm und Anpassungen forderte. Das Land müsste mit dem Verteilungsschlüssel ca. 20.000 Flüchtlinge mehr aufnehmen, als es 2014 der Fall war. In Frankreich wird 2017 ein neuer Präsident gewählt und die derzeitige Regierung steht unter starken Druck vom rechten politischen Lager, dass sich gegen mehr Zuwanderung ausspricht. Ähnlich ideologisch motivierte Argumentationslinien führen wie oben beschrieben Spanien (mit arbeitsmarktpolitschen Gegebenheiten) oder Polen (mit nationalistischen Einwanderungsbedenken)
Der Verteilungsschlüssel wurde offensichtlich dann auch ideologisch instrumentalisiert, wenn die Kosten-Nutzen-Kalkulationen zu höheren ökonomischen aber schwer bestimmbaren politischen Kosten führen.

Kosten-Nutzen-Kalküle: Usus Augere bei Staaten, die den Verteilungsschlüssel befürworten
Für Länder wie Deutschland  oder Schweden ist eine Kosten-Nutzen-Kalkulation in der Angelegenheit des Verteilungsschlüssel der EU rational. Wäre dieser schon 2014 in Kraft gewesen, hätte Deutschland anstatt 170.000 Asylanträge nur 100.000 Anträge und Schweden anstatt 75.000 nur 16.000 bearbeiten und Asylbewerber aufnehmen müssen (Zeit Online 2015). Daraus ergibt sich für Deutschland und Schweden ein klarer Nutzen, der den Kosten einer Nichtumsetzung des Verteilungssystems gegenübersteht; beide Länder befürworten ein Verteilungssystem. Inwiefern diese beiden Länder durch die Mehraufnahmen ideologisch gehandelt haben mögen, ist schwerlich ermittelbar. Liberal intergouvernementalistisch gesehen tragen die Länder sowohl finanzielle, als auch politische Kosten, die mit einem Verteilungsschlüssel gemindert werden können.

Die qualifizierte Mehrheit: Machtverteilung bei den großen Mitgliedsstaaten 
Vor dem Hintergrund der derzeit stark divergierenden Motive, gerade der großen Länder der EU wie Deutschland, Frankreich, Spanien und Polen, erscheint ein Integrationsfortschritt im Bereich der europäischen Asylpolitik mithilfe eines fairen Verteilungsschlüssels unwahrscheinlich. Dabei müssen nicht einmal alle Länder dem Verteilungsinstrument zustimmen. Damit das Gesetz in Kraft tritt, müssten 55 Prozent der EU-Staaten zustimmen, in denen zudem mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung leben. Daraus folgt, dass gerade die großen EU-Staaten einen gewichtigen Veto-Faktor darstellen, denn es ist für diese Staaten aufgrund ihrer Bevölkerungsgröße einfacher, zu organisierende Mehrheiten von >65% der Bevölkerung im Abstimmungsmodus mit qualifizierter Mehrheit zu blockieren. Beispielsweise stellen nur drei Mitgliedsstaaten, Frankreich, Großbritannien und Italien, allein 37,71% der EU-Bevölkerung. Die Mächteverhältnisse in der Verteilungsfrage liegen demgemäß bei Mitgliedsstaaten wie Frankreich, Spanien, Polen oder Portugal, die dem Verteilungssystem ablehnend gegenüber stehen und alleine 37.19% der EU-Bevölkerung ausmachen. Mit den darüber hinaus ablehnenden kleinen Staaten kann der Verteilungsschlüssel leicht blockiert werden. Die EU-Kommission hat zwar einen Vorschlag erarbeitet, kann die Mitgliedsstaaten jedoch nicht zur Umsetzung zwingen. Aus der Sicht des LIG bedeutet dies, dass in letzter Instanz zwar noch immer die Nationalstaaten den Integrationsfortschritt prägen, jedoch kein einzelner Staat (ohne GB, IRL und DK) mehr in der Lage ist, einen Integrationsfortschritt auch in diesem Politikfeld zu verhindern.  
Ausblick und Resümee 
Seit 2007 befindet sich ein gemeinsames Europäisches Asylsystem in der Entwicklung, das als mittelfristig angesehen werden sollte mit dem Endziel einer einheitlichen Flüchtlings- und Migrationspolitik für die gesamte EU. Eine schnelle und sorgfältige Umsetzung der Reformen und eine Erweiterung um ein gerechtes Verteilungssystem und einen zuverlässigen Mechanismus zur Abmilderung von Überforderungssituationen einzelner Mitgliedstaaten würden die Flüchtlingspolitik einen großen Schritt voranbringen. Diese Kurzanalyse mithilfe des LIG hat ergeben, dass dazu ein Weg gefunden werden muss, die nationalen Präferenzen (gerade der großen Mitgliedstaaten) auf eine konvergierende Linie zu bringen und die Motive der Mitgliedsstaaten auszugleichen. Die Wirkmächtigkeit einzelner Nationalstaaten wurde durch die Vertragsreform mit dem Vertrag von Lissabon eingeschränkt. Befürworter eines Verteilungssystems können darauf hoffen, dass sich im Rahmen der qualifizierten Mehrheit ein Großteil der Staaten für eine Verteilung ausspricht; an einem einzelnen Staat kann eine Umverteilung nicht mehr scheitern. Die Praxis hat gezeigt, dass bei der Bereitstellung nicht-sozioökonomischer kollektiver Güter wie der Asylpolitik ideologische Argumentationen durch die Regierungen herangezogen werden, was die Annahmen des LIG bestätigt. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass ein gemeinsamer Verteilungsschlüssel bisher aufgrund der divergierenden Präferenzen zwischen den EU-Ländern z.B. in Fragen des Einwanderungsverständnisses oder aufgrund wirtschaftlicher Faktoren, der schwachen Lobby für Asylbewerber sowie der ideologischen Trennlinien insbesondere bei Wahlkämpfen nicht erfolgreich implementiert worden ist. Für die Zukunft bleibt deshalb abzuwarten, ob die anhaltenden Flüchtlingsströme zur Konvergenz oder Divergenz der mitgliedsstaatlichen Politik beitragen- und einen europäischen Verteilungsschlüssel ermöglichen, oder verhindern.
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